Im Moment klappt's nicht so mit RPG-Schreiben, aber wenn ihr möchtet, kann ich noch was anderes zur Abwechslung in die Runde hauen. Ich habe noch ein paar Kurzgeschichten auf Halde liegen, und vielleicht findet ja die eine oder andere Gefallen.
Los geht's mit meiner allerersten, die ich 2003 veröffentlicht habe. Einige Begriffe sind nicht mehr ganz so geläufig, wie z.B. BGS/Bundesgrenzschutz -> heute: Bundespolizei.
Oder Hartmut Medorn als ehemaliger Chef der DB. Nazi-Opas sind auch kein Alltags-Phänomen mehr und dass damals in Gorleben ganz schwer was mit Atomtransporten abging, muss man sich auch wieder ins Gedächtnis holen. Aber ich glaube, die Story ist trotzdem noch immer verständlich. Hier also die historisch unveränderte Fassung aus dem Jahr 2003 - übrigens mein erstes Jahr in SN
Staatliche Willkür
Erinnern Sie sich noch an den Sommer des Jahres 2003? Brütende Hitze legte sich über Stadt und Land. Die Straßen waren wie leergefegt, hin und wieder wehte ein schwächlicher Lufthauch verdorrtes Laub über den staubigen Asphalt, wo es sich schon bald zum endgültigen Zerfall niederlegte.
Alle litten! Kleine Kinder und Hunde suchten vergebens nach Wasserpfützen, um sich darin zu sulen, für Teenager war der Frühling schon lange vorbei, Karrieristen stöhnten über Krawattenzwang und Atemnot, alte Naziopas spürten deutlich ihre Kriegsverletzungen.
Am meisten aber litt der "Deutsche Bahn"-Chef Hartmut Mehdorn, der sich und der Welt die Ausfälle von Nah- und Fernverkehrszügen nur mit “Materialermüdung” erklären konnte. Ganze Gleisstränge zerflossen in der sengenden Hitze und verloren sich in den Weiten entlegener Provinzen, etwa des Wendlandes, wo es nur mit Mühe und Not gelang, den eminent wichtigen Güterverkehr rund um Gorleben aufrechtzuerhalten.
Wer in diesem Sommer dazu verurteilt war, ohne Auto zu reisen, war restlos aufgeschmissen. Das, was sich auf den Bahnhöfen abspielte, war gänzlich grauenerregend. Na ja, eigentlicht war da gar nichts. Kein Zug fuhr die Bahnsteige an, kein Lüftchen wehte.
Was blieb den Kunden gepflegter Gastlichkeit anderes übrig als zu rauchen, eine Beschäftigung, welche - allen Unkenrufen zum Trotz - recht gut geeignet ist, die Wartezeit totzuschlagen. Pech hatte, wer dieser angenehmen Beschäftigung an einem sogenannten “rauchfreien Bahnhof” nachgehen wollte. Sicher, auch dort gab es legale Möglichkeiten, dieser Passion zu frönen, nämlich in den eigens errichteten “Raucherzonen”. Aber wer begibt sich schon freiwillig ins Ghetto, wo man dichtgedrängt wie in einem Viehstall dem Hohn und dem Spott intoleranter und nichtrauchender Zeitgenossen ausgesetzt ist?
Und überhaupt: Wenn sich tausende geknechtete Seelen aus Büros, Schulen, von Baustellen oder aus Fabriken schleppen, stundenlang dem Diktat des militanten Nichtrauchertums ausgesetzt, so werden sich diese in Bewegung setzen, um ihre Freiheit zu genießen, sich einem breiten Strome gleich vereinen, und gen heimwärtsbringenden Bahnhof ziehen, Stufe um Stufe den Bahnsteig erklimmend, wo sie – nun endlich bar aller Qualen und Schmähungen – die lang vergönnte und möglicherweisee sogar erste Zigarette des Tages aus der Packung ziehen, sie noch einmal liebevoll betrachten, anzünden, um endlich – endlich – den ersten Zug genußvoll zu inhalieren. Ahhh!
So war es auch an jenem denkwürdigen Tag, welcher so friedlich begann.
“He, Sie da, Rauchen verboten!”
Ich wollte es erst gar nicht wahr haben: Diensteifrig bellte mich ein uniformierter Wachdienstler an, Krawatte korrekt gebunden, die Hand an die Diensttaschenlampe “Hellfire Armageddon” gelegt. Mich beeindruckte weniger seine staatstragende fast schon selbstsichere Haltung, seine alberne Uniform oder seine Gestapo-starren Augen als vielmehr die Tatsache, daß er gar nicht schwitzte. “Kaltblüter”, dachte ich, “oder ein gescheiterter Unteroffizier.” Vorsicht war also angeraten, man hört ja so einiges über kaputte Bundis.
Gleich neben mir solidarisierte sich spontan ein Mann, indem er eine Zichte zündete: “Ik glob et ja nich! Die ham wa uns vadient, DET kannste ma globen, wa!”
Der Wachkötter durchforstete kurz seine Hirndatenbank nach passenden Dienstvorschriften und verkündete seinen Beschluß: “Ich hole Verstärkung.”
Die kam auch spontan aus der legalen Raucherecke. Eine Frau wand sich aus der schwitzenden Menge heraus und rief zu uns herüber: “Ham wa jelacht”, zog einmal kräftig und warf dem gescheiterten Unterbrülloffiziers-Anwärter die heruntergerauchte Kippe vor die Füße.
In diesem Moment nahm ich die erste kleine Schweißperle auf dessen Stirn war. Er war hoffnungslos überfordert. Ein undefinierter Fall war eingetreten, in seinem Ausbildungsseminar war solch renitentes Verhalten offenkundig nicht erörtert worden. Da half nur eines! Funkgerät raus: “Zentrale? Hier 06. Widerständige Ansammlung von 'Dampf' auf Bahnsteig 2, südlicher Aufgang. Sofortige Hilfe erbeten.”
Inwischen brach eine Gruppe junger Punks mutig aus dem Raucherbereich aus. Sie brutzelten fröhlich ihr Rauchwerk. Natürlich achteten sie sorgsam darauf, die aufmüpfige Frau zwischen sich und dem Uniformierten stehen zu haben. Ja, ja, die Jugend heutzutage!
“Zentrale? Dringend Verstärkung benötigt. Ziehen Sie den Bundesgrenzschutz hinzu! Mit erheblichem Widerstand ist zu rechnen.”
Um es kurz zu machen: Die meisten Raucher bekamen nichts von der Unterstützungsanforderung mit und verteilten sich freimütig über den gesamten Bahnsteig. Als zwei Minuten später eine BGS-Hundertschaft auftauchte, wurden die meisten auf frischer Tat ertappt, und wir alle fanden uns 20 Minuten später in den Arrestzellen wieder.
Nach drei Stunden wurde ich einem Protokolldroiden vorgeführt, der von mir lediglich Name und Wohnort erhielt. Als er merkte, daß ich nicht aussagewillig war, machte er mich darauf aufmerksam, daß ich wahrscheinlich der “Rädelsführerschaft” bezichtigt würde, ich hier noch einiges wettmachen könne, wenn ich die Namen meiner Komplizen nenne, usw., das übliche Programm eben.
Dann schickte er mich zur erkennungsdienstlichen Behandlung. Der Beamte, der mich in einen Warteraum führte, nahm dort verstohlen seine Mütze ab und kramte eine Packung Zigaretten heraus. Als er meinen verwunderten Blick bemerkte, bot er mir auch eine Fluppe an, natürlich nicht, ohne sich zu rechtfertigen: “Ick weß, det dürf'n wa nich in'nen Diensträumen, aba bei so 'nem Wetta, da scheiß ick druff.”