Racheengel




Racheengel

Beitragvon Daisy » So 17. Jul 2022, 14:05

"Das wär's, Domergue. Du bleibst hier. Keiner wird sich mehr an dich erinnern. Kannst hier verrecken und deine morschen Knochen in der Sonne bleichen lassen."
Sonne? Welche Sonne? Im Moment fegte ein gewaltiger Schneesturm über die Hochebene und ließ die Knochen bei -20 Grad gefrieren. Der Sheriff hatte sie gerade eben in Ketten aus dem Shuttle gezerrt und beiläufig auf die Knie geworfen. Jetzt nahm er ihr das Metall ab und grinste breit: "Viele Jahre wollte ich dich am Strick baumeln sehen. Aber jetzt, wo wir hier sind, gefällt mir das Urteil des Richters immer besser." Er genehmigte sich einen Schluck Whiskey aus einem Flachmann. "Ah, das wärmt so schön. Hättst bestimmt auch gern 'nen Schluck, was? Is ja kein Problem. Die Hütte da vorne steht voll und ganz zu deiner Verfügung. Brauchst nur ein wenig Feuerholz. Wächst einiges hier in der Gegend. Und wenn du genug davon zusammen hast, kannste dir selbst 'nen Whiskey brennen, harharhar."
Die Deputies des Sheriffs fielen in seine dreckige Lache ein und klopften sich gegenseitig auf die Schulter.

Daisy Domergue war von der Aussicht nicht sehr angetan. Eine zumindest winddicht erscheinende Blockhütte, ein Stall und ein Klohäuschen waren vortan ihr neues zu "Hause".
Sie warf dem Sheriff einen giftigen Blick zu.

Der ließ sich nicht beeindrucken und machte genüsslich weiter mit seiner Vorstellung. Er warf seiner Gefangenen einen Klappspaten zu und erklärte seine Handhabe: "Mit diesem Multifunktionsgerät kannst du ein wenig im Boden rumwühlen und nach Krypton graben. Oder auf Bäume draufdreschen, damit die Äste als Feuerholz abfallen. Und eine prima Waffe gegen Kojoten und Wölfe ist dieses Teil auch. Also beschwer dich nicht über die Güte und Weitsicht des Richters, der dich dazu verknackt hat, in diesem öden, dreckigen Loch abzusteigen. Du hast 'ne reele Chance, 20, 30 Jahre zu überstehen, wenn du's klug angehst. Und ein paar Erdferkel und Wildkatzen werden dir Gesellschaft leisten, da wird dir wenigstens nicht langweilig. Sollen übrigens ganz hervorragend schmecken."

"Sheriff, meine Brüder werden mich hier rausholen, und dann werden wir dich finden und am höchsten Baum aufknüpfen. Darauf kannste Gift nehmen, und deine Deputies hängen wir gleich daneben. Habt ihr verstanden, ihr Sackgesichter? Jeden von euch werden wir kriegen, und dann werdet ihr nach Mama schreien, aber die hilft euch dann nicht mehr aus der Patsche."

Die kleine Polizeieinheit schritt bereits wieder die Shuttle-Rampe hinauf. Der Sheriff drehte sich noch einmal mit einem breiten Grinsen um. "Nicht vergessen: Immer schön buddeln, das hält warm und ist gesund." Grölend quetschten sich ihre Bewacher ins Schiff, die Luke schloss sich, und die Maschine hob in einer Wolke aus Schnee und heißem Wasserdampf ab, der schon bald in Form von Eisklümpchen auf Daisy herabhagelte.
Sie verharrte noch eine kurze Zeit, bis das Schiff in die dichte Wolkendecke stieß und nicht mehr zu sehen war. Dann wandte sie sich fluchend zur Hütte um, und tat, was sie immer tat, wenn sie nichts besseres zu tun hatte: Sie schmiedete Pläne, in diesem Fall Rachepläne.

Aber erst mal die praktischen Belange: Feuerholz und Wasser waren vorhanden, Nahrung ließ sich finden oder jagen, und die Luft war sauber und frisch. Als nächstes würde sie sich daran machen, einen Grundstock aus Krypton und Titan zusammenzusammeln, das gab's zumindest überall auf bewohnbaren Planeten der M-Kategorie. Nur das Iridium machte ihr Sorgen: Ziemlich selten, das Zeug. Aber dann fiel ihr Blick auf die tannenähnlichen Bäume, und sie wusste, dass sie alles erreichen konnte, was sie sich vornahm. Kohlenstoff würde es auch tun. Zwar war die Bearbeitung etwas schwieriger als bei Iridium, aber wenn sie es richtig anstellte, hätte sie am Ende eine beachtliche Sammlung an Carbon-Nanoröhrchen, die zusammengesetzt einen prächtigen Panzer abgaben. Gute alte Technik. Selbst ein Hightech-Plasmawerfer biss sich an dem Zeug die Zähne aus und würde Stunden brauchen, um sich durch eine nur ein Zoll dicke Carbonschicht zu brennen.

Der Plan stand, ran an die Arbeit!
Daisy
 
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von Anzeige » So 17. Jul 2022, 14:05

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Re: Racheengel

Beitragvon Daisy » Do 4. Aug 2022, 16:59

Der Pastor der kleinen Quarkergemeinde erhob die Hände zum Gebet. Noch einmal ließ er den Blick über seine Schäfchen gleiten, die auf den kargen Bänken der schmucklosen Holzkirche Platz genommen hatten.
"Zum Ende des Gottesdienstes segne ich euch: In der Leere des Heiligen Raumes, im Fluss Seines Quarks und in der Ewigen Raumzeit. Amen!"
Die Gemeinde antwortete: "Amen"
"Zum Auszug singen wir 'Komm, Leerer Raum'."
Niemand musste ins Gesangsbuch blicken, alle konnten es auswendig:
"Komm, Leerer Raum, kehr bei uns ein,
Erfüll die Hirn' der Kinder Dein..."

Doch plötzlich wurde die Tür im hinteren Teil des Kirchenschiffes aufgerissen, und ein heftiger, kalter Windstoß ließ die Gemeinde erzittern.
Eine in Bärenfell gekleidete Frau stand dort im Eingang und nahm den verdatterten Pastor mit ihren Augen ins Visier.
Dem fiel nicht Besseres ein, als zu stammeln: "Bei des Leeren Raumes sicheren Hafen!"
Alle Gemeindemitglieder drehten ihre Köpfe, einige machten mit Daumen und Zeigefinger das Zeichen der Leere, um böse Sonnenwinde abzuwenden und brabbelten vor sich hin:
"Das kann nicht sein."
"Das Böse ist unter uns."
"Ist das etwa..."
Der Pastor griff den Satz auf: "... ein Flintenweib!"
Plötzlich wurde es völlig still im Raum. Der Messdiener machte Stielaugen. Seine Mutter und seine Schwestern würden nicht... also wirklich niemals... in so einem Aufzug... Ist das Bärenfell? Hat sie wirklich ein Gewehr in der Hand? Darf die das?
Dem Pastor stockte der Atem und keuchte: "Heiliger Higgs, bete für uns arme Sünder..."

"Schluss jetzt!" rief Daisy in die Menge. "Euch passiert nichts, wenn ihr ruhig bleibt und mir gebt, was ich will."
Deeskalation war angesagt, also versuchte der Pfarrer, erst mal, den Dialog aufzunehmen: "Beim gequantelten Planckton, was willst Du von uns, Frau?"
Daisy kannte diese Sorte Leute. Es lohnte sich nicht, sich über ihn aufzuregen. Am Besten kam man vorwärts, wenn deutliche Worte mitten ins Ziel schossen: "Gebt mir euren Wasserstoff! Den braucht ihr hier sowieso nicht."
Es rumpelte in einer der mittleren Bänke, als sich eine stattliche Dame höheren Alters erhob, züchtig in Viktorianischer Sonntagspracht gekleidet: "Und womit, glaubst Du, Fremde, sollen wir dann kochen? Die Gaspreise steigen ins Unermessliche, jetzt noch der Krieg in den östlichen Galaxien. Sollen wir verhungern? Dann kannst du uns gleich hier erschießen. Und ich fürchte mich nicht, ich bin bereit, in die große Leere einzuziehen!"

Jetzt war es an Daisy, ein wenig neben der Spur zu sein. "Ihr... ihr kocht mit Wasserstoff?"
"Natürlich, wir verbrennen ihn, dann haben wir heißes, kochendes Wasser", grummelte ein Bauer aus der vorderen Reihe. "Was denn sonst?"
Daisy schaute aus der Kirchentür und deutete auf die Kiefern und den Schnee. "Ist doch alles da. Ihr braucht keinen Wasserstoff. Da wo ich herkomme, gewinnt man ihn mühevoll aus Wasser, aber man verbrennt ihn doch nicht, um Wasser draus zu machen."
Der Pastor wurde sauer: "Aber der Kreis der Ewigen Leere muss geschlossen werden... aus Wasser wurdest Du gemacht, zu Wasser sollst Du wieder werden! Darf man fragen, was Du mit dem Wasserstoff machst?"
"Na, was wohl?" giftete Daisy. "Ich fusioniere ihn zu Helium und brauche ihn zum Zeitknautschen. Für den Schiffsantrieb!"

"Blasphemie!" brüllte der Bauer aus der ersten Reihe. Weiß der Geier, wo er auf einmal eine Mistgabel hervorgekramt hat. Als er aufsprang, um durch die Kirche zu stürmen und Daisy aufzuspießen, ging der Pastor dazwischen: "Besinne Dich, denk erst, bevor du handelst, denn so steht es geschrieben: Immer Einstein auf einen anderen."

[Fortsetzung folgt]
Daisy
 
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